Dandy Diary zu Besuch bei Zeitmaschine

Interview mit Tilman Brembs (Zeitmaschine)

Ich treffe Tilman an einem jener verregneten Novemberabende, deren Szenerie an eine besonders launische Tim Burton Inszenierung erinnern, in seiner Berliner Wohnung. Hier werde ich erst von ihm und gleich darauf von seinem stürmischen Hund Andra begrüßt. Nachdem alle Formalitäten (Händedruck und Streicheleinheiten – selbstredend für Andra abgehalten sind, begeben wir uns locker in Tilmans Küche, wo mich bereits ein Bier erwartet.

Tilman, so werde ihm immer wieder gesagt, ist der größte Archivar von Fotomaterial der Berliner Rave 90er. Ein Status, den sein Werk unter dem Titel Zeitmaschine auch aktuell wieder zu einem Teil der Ausstellung „No Photos on the Dance Floor!“ im C/O macht.

Fototgrafiert –so erzählt er mir– habe er irgendwie schon immer. So richtig sei es aber mit 13 Jahren losgegangen, als seine Eltern ihre Garage in Tilmans eigene Dunkelkammer umfunktionierten. Ein Ort, an dem er einen großen Teil seiner Jugend verbrachte – manchmal auch einfach nur, um heimlich zu rauchen oder einer aktuellen Flamme seine „Fotosammlung zu zeigen“.

1982 kam er dann nach Berlin, wo er auch weiterhin der Fotografie treu blieb und schließlich auch an der Dokumentation des Mauerfalls ´89 beteiligt war. Zwei Jahre danach fand er einen Job im Berliner Club Tresor, wo er –mit einer Analogkamera bewaffnet– begann, Fotos der Feiernden zu schießen, was den Grundstein seines heute etwa 15.000 Fotos umfassenden Werks schuf. Ein Teil davon ist auch in seinem aktuellen Fotobuch „Over Rainbows“ zu finden.

Durch seine Nähe zur Community und den Fakt, dass er immer mit den Leuten feierte, statt nur am Rande ihre Ekstase einzufangen, schuf er eine Bindung und ein Vertrauen zu den abgelichteten Ravern, was zu authentischen Momentaufnahmen führte, die in der heutigen Feierkultur Berlins gänzlich unvorstellbar sind.

Wichtig sei ihm dabei immer gewesen, die Stimmung seiner Modelle real einzufangen und keine Inszenierung zu forcieren, wie man es von diversen Partyfotografen gewohnt ist.

Auch lag es ihm mit seiner Arbeit fern, die üblichen Protagonisten zu fotografieren – sprich DJ’s oder Produzenten. Stattdessen habe er der Community, den Fans und Konsumenten des Techno Respekt zollen wollen. Also jenen, die Techno letztlich so groß gemacht haben, wie er heute ist.

Meine Frage, ob er die heutige no-photo-policy in Clubs als Kreativ-Zensur empfinde, beantwortet er mit einem klaren nein. Heute gebe es schlichtweg zu viele Smartphones, was prinzipiell zwar nichts Schlimmes sei, sondern einfach der Lauf der Dinge. Letztlich gebe es heute aber zu viele mediale Kanäle, auf denen Fotos landen können. Schließlich sei es heute wesentlich einfacher, unauffällige Fotos von jemandem zu schießen, der sich in kompromittierenden Situationen befinde. Das habe es in der damaligen Szene nicht gegeben und er habe sich in seiner Arbeit stets an sein persönliches Ethos gehalten, indem er nie Material veröffentlichte, auf dem jemand scheiße aussieht.

Ich frage Tilman, welche Veränderungen er in der Technoszene zwischen damals und heute beobachten kann. Insgesamt gebe es heute wesentlich mehr Sexualität und Freizügigkeit in Clubs, die es –entgegen scheinbarer hartnäckiger Klischees– in den 90ern nicht gegeben habe. Damals sei es undenkbar gewesen, einer nackten Person auf dem Dancefloor zu begegnen. Veränderungen in der Rave-Kultur finde er jedoch absolut natürlich und besonders freue ihn, dass es noch immer Leute gebe, die Spaß an Techno haben und den Trend weiterführen. Die „Früher war alles besser“ Einstellung vieler Ewiggestriger findet er komplett unsinnig: Damit mache man sich selbst nur alt und degradiere die heutige Jugend und ihren Zeitgeist. Trotzdem –merkt er an– finde er es sehr schade, dass heute eine zunehmende Uniformierung unter Ravern beobachtbar sei.

In Zeiten des Clubkids, das Rave in einen den Techno romantisierenden Lifestlye hebt, eine absolut wichtige Feststellung. In Sachen Stil habe es früher eine weitaus größere Akzeptanz gegenüber Andersgekleideten gegeben, führt Tilman aus. Das habe zu weniger Fraktionierung innerhalb der Szene geführt, wie es heute etwa durch Marken wie Vetements stattfinde, die im Grunde das teuer verkaufen würden, was Raver damals selbst kreiert hätten. So erinnert sich Tilman an ein paar billiger Turnschuhe aus dem Discounter, die er mit Silber- und Goldstiften bemalte. Nicht etwa, weil man einem bestimmten Stil nachgestrebt habe, sondern einfach für den Spaß an der Sache; für das Ausleben von Kreativität.

Allgemein seien die Rave-90er wie eine Art zweite Pubertät für viele gewesen. Eine Sturm und Drang-Phase, in der man gemacht habe, was man wollte. Egal ob Experimente mit der sexuellen Orientierung, Musik, Klamotten oder Drogen: Jeder habe nochmal eine Chance bekommen, sich auszuprobieren. Das vergleicht Tilman gerne metaphorisch mit der Ursuppe – richtige Elemente, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort versammelt waren. Diese Atmosphäre sei der Mauerfall gewesen und Techno der Blitz der Kreation, aus dem die Ravekultur hervorging, die bis heute existiert und vielmehr noch immer im Kreationsprozess sei, der Neues gebäre. So betrachte er Techno als einen Katalysator für Inspiration verschiedenster Bereiche – selbstverständlich Musik selbst, aber auch Mode und gesellschaftliche Trends, insbesondere in Berlin.

Auf meine Frage, wie seine Vision für Techno aussieht, antwortet Tilman, dass die Szene inzwischen wie ein gesellschaftliches Perpetuum mobile fungiert: Immer wieder kämen neue Leute in die Stadt, die in Berlins Schoß kröchen und alles fühlen, schmecken und riechen wollen und das sei auch gut so. Das sei es nämlich letztlich, was die Rave-Kultur verewige und in Bewegung halte.